zu den Internetseiten des BVA
zu den Internetseiten der DOG

Leitlinien von BVA und DOG

Leitlinie Nr. 18

Systemische Medikamente mit Nebenwirkungen am Auge

Definition

Zahlreiche systemische Medikamente können Nebenwirkungen am Auge und/oder an der Sehbahn hervorrufen und erfordern deswegen regelmäßige augenärztliche Kontrollen auch ohne Beschwerden im Bereich des Sehorgans.

Diese Leitlinie beschäftigt sich mit den Nebenwirkungen von Medikamenten, soweit bei deren Anwendung alle folgenden Voraussetzungen vorliegen:

  • häufiges Auftreten relevanter Nebenwirkungen wegen großen Verordnungsvolumens oder hoher Nebenwirkungsrate
  • langfristige Applikation
  • morphologische und/oder funktionelle okuläre Ausfälle, die zumindest partiell von den Patienten nicht bemerkt werden
  • eine augenärztliche Vorsorge ist möglich
Dazu gehören:
  1. Kortikosteroid (auch bei Applikation am Auge):
    • Augendruckerhöhung (in 30% Druckanstieg um bis zu 15 mmHg, in 5% Druckanstieg um mehr als 15 mmHg)
    • Katarakt (typisch: hintere Schalentrübung)
    • erhöhte lnfektionsgefahr
  2. Amiodaron:
    • Cornea verticillata (obligat)
    • Opticusschaden oder Makulopathie (selten)
  3. Ethambutol:
    • Opticusneuropathie (dosisabhängig, im fortgeschrittenen Stadium irreversibel)
    • feine Pigmentveränderungen der zentralen Netzhaut
  4. [Hydroxy]chloroquin:
    • Cornea verticillata
    • toxische Makulopathie (bull's eye) (dosisabhängig)
    • generalisierte Netzhautdystrophie (im Spätstadium), nicht bei kurzfristiger Medikation; im fortgeschrittenen Stadium irreversibel
    Empfehlung für Tagesdosis: nicht mehr als 3,5 mg/kg Körpergewicht
  5. Vigabatrin
    • irreversible Gesichtsfeldeinschränkungen (bei ca. 30-40% der Behandelten, nur in seltenen Fällen geringe Besserung, meist konzentrische Einengung oder ringförmiger nasaler Defekt, bei 90% ohne subjektive Beschwerden)
    • bei Patienten mit bereits bestehenden, klinisch signifikanten Gesichtsfeldstörungen sollte der Augenarzt von der Therapie abraten
Vorgehen

Notwendig:

  • Anamnese u.a. zur Dosierung und Dauer der Medikation und zu subjektiven Beschwerden
  • Sehschärfenbestimmung, ggf. einschließlich subjektiver und objektiver Refraktionsbestimmung und/oder Ausmessen vorhandener Sehhilfen
  • Spaltlampenuntersuchung der vorderen und mittleren Augenabschnitte (entbehrlich bei Ethambutol)
  • Untersuchung des zentralen Augenhintergrundes
  • Tonometrie (bei Kortikosteroid)
  • zentrale Perimetrie (bei Ethambutol und [Hydroxy]chloroquin)
  • zentrale und periphere Perimetrie (bei Vigabatrin (1) )
  • Untersuchung des Farbsinns einschließlich Blausinn (z.B. Velhagentafeln, Panel D 15) (bei Ethambutol und [Hydroxy]chloroquin)
  • Dokumentation
  • Befundbesprechung und Beratung
  • Kommunikation mit Hausarzt und/oder zuständigem Facharzt
Im Einzelfall erforderlich:
  • weitere Untersuchungen der altersentsprechenden Basisdiagnostik (z.B. bei durch den Lokalbefund nicht zu erklärender Visusminderung oder bei Patienten, die sich erstmals oder nach einem Intervall von über einem Jahr seit der letzten augenärztlichen Basisdiagnostik vorstellen, siehe Leitlinien Nr. 2 - 4)
  1. Kortikosteroid
    • bei Glaukomverdacht siehe Leitlinie Nr. 15 a
    • Untersuchung der Linse in Mydriasis
  2. Amiodaron (nur bei unklarer Sehstörung oder auffälligem Netzhaut- oder Papillenbefund):
    • zentrale Perimetrie
    • Untersuchung des Farbsinns
    • Elektrophysiologie (Muster-VEP, ERG)
  3. Ethambutol
    • Elektrophysiologie (Muster-VEP) (dringend zu empfehlen bei Farbsinnstörung im Rahmen der Erstuntersuchung)
  4. [Hydroxy]chloroquin
    • Elektrophysiologie (ERG, EOG) (dringend zu empfehlen bei Farbsinnstörung im Rahmen der Erstuntersuchung)
  5. Vigabatrin (1)
    • Elektrophysiologie (ERG), wenn eine Perimetrie nicht möglich ist (z.B. bei Kindern unter 9 Jahren, bei schlechter Kooperation). Da das ERG auch bei Vorliegen von Gesichtsfeldausfällen normal sein kann, ist eine Perimetrie wenn immer möglich vorzuziehen
    • Untersuchung des gesamten Augenhintergrundes bei Vorliegen von Gesichtsfeldausfällen
Therapie
  • bei Patienten mit bereits vorbestehenden okulären Erkrankungen oder Funktionsstörungen, die den zu erwartenden Nebenwirkungen des jeweiligen Medikamentes entsprechen, ist von einer Therapie abzuraten, ggf. muß eine sorgfältige Nutzen-Schaden-Abwägung in Kooperation mit dem behandelnden Arzt erfolgen
  • ausführliche Aufklärung über möglichen Verlauf und ggf. Irreversibilität der Funktionsstörungen, ggf. Empfehlung zur Reduktion oder zum Absetzen des Medikamentes, ggf. Nutzen-Schaden-Abwägung in Kooperation mit dem behandelnden Arzt
  • Aufklärung des Patienten über mögliche Frühsymptome, die Indikation zu einer früheren Kontrolluntersuchung sind
  • bei Steroid-Glaukom zusätzlich topische/systemische Therapie, siehe Leitlinie Nr. 15 a
  • bei Vigabatrin ausführliche Aufklärung über die Irreversibilität der Gesichtsfeldausfälle und Nutzen-Schaden-Abwägung in Kooperation mit dem behandelnden Neurologen
Ambulant/Stationär
  • immer ambulant
Kontrollintervalle
  • vor oder innerhalb von 2 Wochen nach Therapiebeginn
  • danach:
    1. Kortikosteroid: einmal jährlich; bei progredienter Katarakt in kürzeren Intervallen; Tonometrie: 3 bis 4 Wochen und 3 bis 4 Monate nach Therapiebeginn; bei Steroid-Glaukom oder -Glaukomverdacht Beurteilung von Sehnerv und Nervenfaserschicht sowie Perimetrie mindestens einmal jährlich, siehe Leitlinie Nr. 15 a
    2. Amiodaron: ca. alle 6 Monate
    3. Ethambutol: ca. alle 6 Wochen
    4. [Hydroxy]chloroquin: nach 1 Jahr; danach ca. alle 3 Monate
    5. Vigabatrin: Perimetrie zu Beginn, Kontrolle 2 Monate und 6 Monate nach Therapiebeginn, anschließend halbjährlich und sofort bei subjektiv bemerkten Gesichstfeldausfällen
  • bei Beschwerden sofort

(1)
Schmidt D, Brandl U, et al
"Der derzeitige Stellenwert von Vigabatrin (Sabril®) in der Epilepsiebehandlung - Ergebnisse einer Konsensuskonferenz"
Akt Neurol 27: 470-474 (2000)


Letzte Durchsicht und Aktualisierung: 23.12.2001


Leitlinien sind Orientierungshilfen im Sinne von "Handlungs- und Entscheidungskorridoren", von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann oder sogar muss. Sie beschreiben, was Augenärzte für eine angemessene Patientenversorgung in der Praxis für geboten halten. Dies entspricht in vielen Fällen nicht dem Leistungsniveau der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland. Die augenärztliche Basisdiagnostik wird aus Vorsorgegründen empfohlen. Die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland gewährt derzeit keinen primären Anspruch auf augenärztliche Vorsorge von Sehstörungen und Erkrankungen des Sehorgans (siehe Präambel).

Leitlinie schließen und zurück zur Übersicht


zum Seitenanfang

Impressum | Datenschutz | © 2023 BVA und DOG alle Rechte vorbehalten