AAD Pressekonferenz 2001
Zrenner:
Retina-Implant
Teilbereich MPD-Array
Weitere Fortschritte bezüglich Implantation und Erzeugen eines Seheindrucks durch Mikrophotodioden-Arrays.
Retina-Implant-Projekte in Deutschland - Stand 2001
Teilbereich MPD-Array
Seit 1995 arbeiten zwei vom BMBF geförderte Forschungsgruppen in
Deutschland an der Realisierung einer Netzhautprothese für Blinde. Dabei
gehen die Wissenschaftler der beiden Gruppen zwei verschiedene Wege: Das von
Professor Dr. Eckmiller geleitete Projekt trägt die Bezeichnung EPI-RET
(siehe Manuskript Dr. Peter Walter).
Bei dem Projekt MPD-Array, das von Professor Dr. Eberhart Zrenner, Direktor
der Universitäts-Augenklinik Tübingen geleitet wird, arbeiten die
Forscher mit Mikrophotodioden (MPDAs), die unter die Netzhaut implantiert
werden und die das einfallende Licht in Spannungsimpulse umwandeln. Diese
Spannungsimpulse stimulieren die Nervenzellen der Netzhaut
(Abb. 1). Inzwischen wurden vom MPD-Array-Konsortium
insgesamt 6 Prototypen vom Mikrophotodioden-Arrays entwickelt. Eine der
wichtigsten und schwierigsten Aufgaben bei diesem Projekt ist die Frage der
optimalen Reizung der Nervenzellen. Nach zahlreichen Versuchen ist es
gelungen, den genauen Reizstrom bzw. die notwendige Ladungsdichte zu
bestimmen, mit der ein MPDA die zugehörigen Nervenzellen der Netzhaut
stimulieren kann, so dass es möglich ist, am Ausgang der Netzhaut Signale
in den Ganglienzellen hervorzurufen, die vom Gehirn als Seheindruck
interpretiert werden. Gleichzeitig sind ganz bestimmte Elektrodenabstände
erforderlich, um räumlich getrennte Muster im Bereich der
Ganglienzellschicht zu erzeugen. Damit lässt sich rein rechnerisch eine
Sehschärfe von knapp 0,1 übertragen, mit der Gesichter und sogar
Buchstaben theoretisch erkannt werden können
(Abb. 9).
Vertragen sich Chip und Nervenzellen ?
Um Erkenntnisse über die Langzeitstabilität der Netzhaut und der
Biokompatibilität zu gewinnen, wurden an der
Universitäts-Augenklinik Tübingen Zellkulturen angelegt, die
wochenlang mit den verschiedenen Materialen in Berührung blieben. Das
führte zu dem Ergebnis, dass Zelladhäsion und Biokompatibilität
durch zusätzliche Peptidschichten deutlich verbessert werden konnten.
Netzhautchips wurden in Schweineaugen implantiert, um die
Langzeitverträglichkeit zu prüfen. Es stellte sich heraus, dass der
Funktionsfähigkeit des Chips auch nach 14 Monaten noch erhalten war und
dass die Netzhaut, die operativ entfernt und feingeweblich untersucht wurde,
in den dem Chip anliegenden Schichten keine pathologischen Veränderungen
zeigte, die die Funktion der Netzhaut beeinträchtigen würden. Alle
bisher in der Studie geprüften Materialen für Netzhaut-Implantate
und Chips erwiesen sich im Tierversuch (ggf. nach Modifikationen) als für
die Netzhaut verträglich. Dennoch sind weitere Experimente mit
zahlreichen Materialien erforderlich, verschiedene Herstellungsprozesse und
Beschichtungen müssen verglichen werden. Noch kommt es nach einigen
Monaten auf der Oberfläche der Chips im Auge der Tiere zur Korrosion.
Daher müssen neue Passivierungsschichten entwickelt werden, mit denen die
Langzeitstabilität des Materials gewährleistet ist.
Wie kommt der Chip ins Auge ?
Zur sicheren Einführung der Implantate in die Netzhaut wurden zwei
Methoden entwickelt:
Die Implantation erfolgt über eine Öffnung im Auge quer durch
den Glaskörper und durch einen sehr kleinen Einschnitt in die
Netzhaut, durch den der Chip in den Raum zwischen Netzhaut und Aderhaut
gelangt.
Der Chip wird durch einen fensterähnlichen Einschnitt in die
Lederhaut hinter die Netzhaut eingeführt, so dass er in der Nähe
der Makula, der Stelle des schärfsten Sehens positioniert ist
(Abb. 6).
Ergebnis der Experimente mit Schweinen und Kaninchen: Die MPDAs blieben auch
noch nach Monaten in ihrer Position stabil fixiert. Feingewebliche
Untersuchungen ergaben, dass die Chips von der Netzhaut noch nach Monaten gut
vertragen werden, es traten auch keine Abstoßungsreaktionen auf.
Kann der Chip einen Seheindruck vermitteln ?
Bei Ratten, Kaninchen und Schweinen konnte der prinzipielle Beweis erbracht
werden, dass elektrische Reize hinter der Netzhaut durch die Implantate einen
Lichteindruck an das Gehirn übermitteln. Derzeit wird intensiv
untersucht, welche räumliche Auflösung dabei in Gehirnarealen
erreicht werden kann, ob der stimulierte Bereich der Netzhaut den
entsprechenden Bereich der Sehrinde im Gehirn aktiviert. Bevor eine
Pilot-Implantation bei einem Patienten, der sich freiwillig dazu
bereiterklärt, vorgenommen werden kann, müssen die Prototypen der
Sehprothesen noch weiterhin auf ihre sichere Funktion geprüft werden.
Dazu werden laufend als Tierversuch zwei unterschiedliche Modelle getestet:
als vorläufige Implantation und als dauerhafte Implantation - in beiden
Fällen nur in einem Auge. Das andere dient zur Vergleichskontrolle. Diese
Untersuchung findet in enger Zusammenarbeit mit den Neurochirurgen und der
Universtitäts-Augenklinik Regensburg statt, wo ein Zugangsverfahren zum
Gehirn von Minipigs entwickelt wurde, das ermöglicht, Elektroden zur
elektrischen Ableitung auf der Oberfläche der Hirnrinde zu positionieren.
Welcher Seheindruck ist prinzipiell möglich ?
Die Größe des Gesichtsfeldes bei einem subretinalen Implantat von
drei Millimeter Durchmesser beträgt ca. 12°. Von Patienten mit
entsprechend eingeschränkten Gesichtsfeldern wissen wir, dass damit eine
ausreichende Mobilität möglich ist. Die zeitliche Auflösung
dürfte kein nennenswertes Problem darstellen, da die zeitlichen
Abläufe bei einer etwas verkürzten Latenz den physiologischen
Abläufen entsprechen. Das Problem, dass Fasern von Ganglienzellen gereizt
werden, die zu sehr entfernten rezeptiven Feldern gehören, besteht im
subretinalen Raum nachweislich nicht. Die örtliche Auflösung eines
subretinalen Elektroden-Arrays beträgt bisher zwischen 70 und
140 µm. Geht man von der theoretischen Überlegung aus, dass
jede Elektrode in funktionell ähnlicher Weise an nachgeschaltete
Ganglienzellen ankoppelt, ein Idealzustand, der wahrscheinlich in der
Realität so nicht erreicht werden kann, könnte ein - wie in
Abb. 9 dargestelltes - "pixelisiertes" Abbild der
Umwelt entstehen. Bei schwächerer Reizung ist jedes der durch die
einzelnen Elektroden ausgelösten Phosphene getrennt von seinem
Nachbarphosphen zu sehen. Trotzdem kann daraus schon ein Bild erzeugt werden.
Wird das Licht und damit auch die Reizstärke erhöht, verschwimmen
die durch die Elektroden ausgelösten Phosphene ein wenig ineinander und
ergeben ein etwas unschärferes, aber räumlich zusammenhängendes
Bild. Steigt die Reizstärke noch höher, wachsen die einzelnen
Erregungsverteilungen der Phosphene ineinander und das Bild wird weiter
unschärfer und kontrastärmer.
Neue Erkenntnis:
Eine Energie-Quelle muss das SUB-RET-System ergänzen
In die natürlichen Lichtsinneszellen ist eine bemerkenswerte
Verstärkungskaskade eingebaut, die technische Photodioden bisher nicht
haben. Dadurch können die für eine Reizung der Neurone notwendigen
Ladungsdichten derzeit nur mit sehr hohen Leuchtdichten erhalten werden, die
der hellen Mittagssonne im Sommer entsprechen. Deshalb wurden inzwischen
Konzepte entwickelt, wie sich zusätzliche Energie nutzen lässt. Mit
Hilfe einer infraroten Photodiode im Brillengestell soll ständig
unsichtbare Strahlung ins Auge geleitet werden. Durch eine
infrarot-empfindliche Solarzelle im Retina-Implant
(Abb. 10) wird diese Strahlung wieder in elektrische
Energie umgewandelt, und das sichtbare Licht, das von Sehobjekten auf die
Mikrophotodioden trifft, wird lediglich dazu benutzt, einen elektronischen
"Schalter" zu betätigen, der die infrarot-vermittelte Energie auf die
Nervenzellen weiterleitet. Dabei sind jedoch noch eine Reihe von technischen
Problemen - insbesondere die des optischen Filterns der verschiedenen
Lichtwellenlängen - zu lösen.
Zwischenbilanz
Neben den beiden vom BMBF geförderten Projekten MPD-Array und EPI-RET
werden weitere Ansätze verfolgt, wie eine direkte Ankopplung von
Elektroden an Gehirnzellen (Dobelle 2000) oder an den Sehnerv (Projekt einer
belgischen Gruppe. Obwohl der Nachweis erbracht ist, dass Reize durch hinter
die Netzhaut implantierte Mikrophotodioden sowohl eine zeitliche als auch eine
räumliche Entsprechung der Sehrinde bewirken und obwohl die
Biokompatibilität ebenfalls gut erforscht ist, müssen noch viele
Fragen geklärt werden, bevor vielleicht in einigen Jahren an den Einsatz
solcher Implantate beim Menschen zu denken ist. Andererseits gibt es keine
wirkliche Alternative, wenn die Sehzellen verloren sind, da bisher
Transplantationsversuche ergebnislos waren und neuroprotektive Maßnahmen
oder Gentransfer nur dann möglich sind, wenn noch Lichtsinneszellen
existieren, die behandelt werden können. Es werden deshalb noch
jahrelange Forschungs- und Entwicklungsarbeiten notwendig sein, bis Hilfe
für blinde Patienten durch Retina-Implantate möglich ist.
Andererseits berechtigen die Erfolge der Herzschrittmacher und der
Cochlea-Implantate zu der Hoffnung, dass durch die moderne Nanotechnologie die
Methoden elektrischer Reizung von Nerven zellen auch in mikroskopischen
Strukturen wie der Netzhaut zur klinischen Anwendung kommen können.
Die nachfolgenden Abbildungen sind einer Originalarbeit für die
Zeitschrift "Der Ophthalmologe" entnommen. Sie können Sie anklicken und
dann vergrößert betrachten.
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| Abb. 1: Aufbau des Auges und Funktionsprinzip eines
subretinal (hinter die Netzhaut) implantierten Mikrophotodioden-Arrays
(MPDA). Das MPDA soll degenerierte Photorezeptoren (Zapfen und
Stäbchen) ersetzen. Bei Beleuchtung stimuliert es elektrisch die noch
intakten Netzhautzellen, etwa Bipolarzellen. So kann die neuronale
Verarbeitung der Netzhaut in den inneren Schichten genutzt und die
Information auf natürlichem Weg über die Ganglienzellen und ihre
Fasern zu den entsprechenden Gehirn-Arealen weitergeleitet werden.
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| Abb. 6: Zwei unterschiedliche
Methoden zur Implantation der Chips hinter die Netzhaut:
A: Der Chip wird durch eine Öffnung im Auge quer durch den
Glaskörper hinter die Netzhaut eingeführt. Dazu ist ein kleiner
Einschnitt in die Netzhaut in erforderlich.
B: Von außen wird eine Folie zwischen Pigmentepithel und Neuroretina
geschoben. Durch diesen "Kanal" wird dann der Chip in den Raum hinter der
Netzhaut eingeführt, so dass er in die Nähe der Makula (Stelle
des schärfsten Sehens) gelangt.
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| | Abb. 9: Aus den in-vitro-Versuchen errechnetes
retinales Polarisationsmuster, ausgelöst durch ein Portrait (oben
links) und eine Optotypentafel (unten links) In einem Betrachtungsabstand
von 60 cm ist die retinale Bildausdehnung 3 mm. Nimmt man einen
Reizabstand der Elektroden von 70 µm an, ergibt sich ein aus
vielen kleinen Erregungsmustern mit Gausscher Verteilung gerastertes Bild
(2. v. links). Bei stärkeren Reizströmen vergrößern
sich die punktförmigen Erregungsmuster (Spalte 2), fließen
ineinander und ergeben Bilder, wie in Spalte 3. Noch stärkere
Stimulation würde Erregungsverteilungen wie in Spalte 4 ergeben,
jedoch unter der noch nicht erwiesenen Annahme, dass jede Elektrode mit
der entsprechenden Zelle in gleicher Weise verbunden ist.
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| | Abb. 10: Schematische Darstellung des
Gesamtkonzeptes SUB-RET (Implantat hinter der Netzhaut) mit
Energie-Einkopplung. Wie im Manuskript beschrieben, muss eine
Energie-Quelle das SUB-RET-System ergänzen, weil die Photodioden
nicht über die Verstärkungskaskade der natürlichen
Lichtzellen verfügen.
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Prof.Dr.med. Eberhart Zrenner
Univ.-Augenklinik Tübingen, Abt. II
Schleichstr. 12-16
72076 Tübingen
Tel (07071) 2984786
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