Unter einer altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) leiden weltweit geschätzt schon heute knapp 40 Millionen Menschen, in Deutschland etwa zwei Millionen. Die AMD ist also in der Tat eine Volkskrankheit. Im Widerspruch zu dieser Tatsache steht, dass die Krankheit in der Bevölkerung nahezu unbekannt ist: Nur 16 Prozent der Deutschen wissen überhaupt etwas mit dem Begriff "Makuladegeneration“ anzufangen. Demgegenüber sind es in den USA über 70 Prozent. Bei der AMD kommt es auf Früherkennung an, um den Verlust der zentralen Sehschärfe zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern. Dabei hat die Aufklärung durch die Medien eine entscheidende Bedeutung. Die Botschaft heißt: Vom 50. Lebensjahr einmal jährlich zur Untersuchung zum Augenarzt! Gelingt es nicht, das Bewusstsein für die Gefahren der AMD zu schärfen, muss den demografischen Prognosen zufolge damit gerechnet werden, dass sich in den nächsten 25 Jahren die Zahl der Betroffenen in Deutschland verdreifacht.
Neue Ansätze für die medikamentöse AMD-Therapie
Die AMD ist eine Krankheit der Netzhautmitte, wo die Stelle des schärfsten Sehens, die Makula, liegt. Diese Augenkrankheit tritt in zwei unterschiedlichen Verlaufsformen auf: als trockene AMD und als feuchte AMD. Die feuchte Form kann sehr schnell fortschreiten und aggressiv verlaufen. Dabei bilden sich neue Gefäße, aus denen Flüssigkeit austritt, sodass die Netzhautzellen zugrunde gehen. Die klassische Therapie ist eine Laserbehandlung, mit der die "undichten“ Stellen verschlossen werden. Die kommt aber nur dann in Frage, wenn die Gefäßneubildungen zunächst außerhalb der Sehzentrums wachsen, was jedoch bei wenigen Patienten der Fall ist. Seit mehreren Jahren steht eine weitere Behandlungsmethode zur Verfügung, die Photodynamische Therapie (PDT). Sie ermöglicht in einem bestimmten Stadium der AMD, durchlässige Gefäßareale durch eine künstlich hervorgerufene Blutgerinnung zu verschließen.
In jüngster Zeit wurden zur Behandlung der feuchten AMD gleich mehrere neue Medikamente entwickelt, die direkt in oder neben das Auge gespritzt werden mit dem Ziel, die Gefäßneubildungen unter der Netzhautmitte "abzudichten“ und gleichzeitig weitere Gefäßwucherungen zu verhindern. In den USA ist eines der Präparate bereits seit Dezember 2004 zugelassen. Wann die Zulassung in Deutschland erfolgt, ist noch ungewiss. Über Auslandsapotheken ist jedoch schon ein früherer Bezug auch hier in Deutschland möglich.
Zur Wirkungsweise der neuen Medikamente
Die Präparate Macugen und Lucentis beeinflussen einen körpereigenen Botenstoff, das so genannte Wachstumshormon VEGF und hemmen so die Gefäßneubildung. Die Injektion in den Glaskörper muss – je nach Medikament – in vier- oder sechswöchigen Abständen wiederholt werden, u.a., weil seine Wirkung im Glaskörper und in der Netzhaut durch natürlichen Abbau mit der Zeit nachlässt. Die Behandlung erfolgt ambulant unter örtlicher Betäubung und ist nicht schmerzhaft.
Beide Medikamente wirken wie Antikörper gegen den Botenstoff VEGF, unterdrücken also damit den ihm eigenen Effekt, die Erhöhung der Gefäßdurchlässigkeit und das Auslösen von Gefäßwachstum. Im Falle der AMD geht es vor allem darum, Gefäße, aus denen Flüssigkeit austritt, zu verschließen – sei es mit Hilfe von Laserkoagulation, die Leckstellen verödet, oder mit der Photodynamischen Therapie (PDT), einer Kombination aus dem in die Armvene injizierten Wirkstoff Verteporfin und durch Laser hervorgerufener Blutgerinnung als Gefäßverschluss.
Eine weitere neue Therapie, die dazu dient, den insbesondere bei der feuchten Makuladegeneration so dramatischen Sehverlust zum Stillstand zu bringen oder zumindest hinauszuzögern, besteht in der Anwendung zweier Kortisonpräparate, von denen Triamcinolon ebenfalls in den Glaskörperraum injiziert wird, während Anecortave neben das Auge appliziert wird.
Anecortave ist ein synthetisches Kortikosteroid-Derivat ohne die unerwünschten Nebenwirkungen wie Erhöhung des Augeninnendrucks und vorzeitige Entwicklung einer Katarakt (Grauer Star). Ein wesentlicher Vorteil der Substanz: Sie lässt sich mit einem speziellen Applikator kontrolliert in das Bindegewebe zwischen den Augenmuskeln einbringen, sodass der gewünschte Wirkspiegel im Augeninneren ohne intraokulare Injektion erreicht wird.
Bei Triamcinolon, ebenfalls einem Kortisonpräparat, bleibt nach einer Injektion ins Auge der Wirkspiegel über mehrere Monate erhalten. Für das Krankheitsbild AMD liegen allerdings bislang zu diesem Präparat noch keine Daten aus randomisierten, prospektiven Studien vor. Doch sprechen vorläufige Hinweise für eine potenzielle Beeinflussbarkeit von Gefäßneubildungen.
Für alle genannten Präparate wird auch eine Kombinationstherapie – z.B. mit PDT – als eine mögliche sinnvolle Strategie bei neovaskulärer (Neubildung von Gefäßen) AMD angesehen. Vorläufige Ergebnisse der Kombination aus Triamcinolon und PDT weisen daraufhin, dass die Anzahl der PDT-Behandlungen dadurch reduziert werden kann.
Entstehung der AMD
Warum erkrankt im Alter ausgerechnet die Makula, die Stelle des schärfsten Sehens, und über 95 Prozent der Netzhaut bleiben völlig intakt? Offensichtlich spielen hier zunächst suffiziente Kompensationsmechanismen eine Rolle, die mit der Zeit diesen Teil der Netzhaut überfordern, sodass schädigende Faktoren eine kritische Schwelle überschreiten.
In der Makula ist der "Film“ besonders empfindlich, weil dort die Dichte der Fotorezeptoren sehr hoch ist, so hoch wie sonst nirgends im Auge. In der Makula wird eine so hohe Auflösung (Sehschärfe) errreicht, dass man in der Lage ist, auch sehr kleine Schrift zu lesen und am Straßenverkehr als Fahrzeuglenker teilzunehmen. Schon weniger als 500 Mikrometer vom Zentrum der Makula entfernt ist dies nicht mehr möglich. Entsprechend dramatisch sind die Auswirkungen für die betroffenen Patienten, wenn die Makula erkrankt ist: Autofahren und Lesen sind nicht mehr möglich, Gesichter werden nicht mehr wahrgenommen und es besteht – besonders im Alter – die Gefahr der sozialen Isolation und Depression.
Vor weniger als 100 Jahren war diese Augenkrankheit, die man damals "die scheibchenförmige Entartung der Netzhautmitte“ nannte, extrem selten. Verantwortlich für den dramatischen Wandel ist natürlich hauptsächlich die Demografie. Von 1900 bis heute ist eine Verdoppelung der Lebenserwartung zu verzeichnen und damit nicht nur in der Augenheilkunde sondern auch in vielen anderen Fachgebieten der Medizin eine erhebliche Zunahme an Erkrankungen, die erst in höherem Lebensalter manifest werden. Die dramatische Zunahme der AMD jenseits der 50 ist in Mitteleuropa, Australien und Nordamerika nahezu identisch. Diese Entwicklung lässt darauf schließen, dass jeder Mensch von dieser Erkrankung betroffen wird, wenn er nur alt genug wird. Beobachtungen aus England geben Hinweise dafür, dass die Zunahme nicht nur altersabhängig ist. Auch das Erkrankungs-, das Manifestationsalter verschiebt sich immer mehr zum jüngeren Lebensalter.
Offenbar gibt es aber neben den genetischen Einflüssen noch andere Faktoren, die eine AMD begünstigen, etwa wie Umwelt, Lebensweise und Ernährungsverhalten. So war beispielsweise in Japan diese Erkrankung noch vor 30 Jahren fast unbekannt. Heute gilt sie dort ebenfalls als die häufigste Erblindungsursache nach Definition des Gesetzgebers. Gerade in Japan hat sich ja das Freizeit-, Arbeits- und Ernährungsverhalten ganz dramatisch gewandelt und es gibt sehr gute Gründe, nach diesen Faktoren zu fahnden und sie zu identifizieren.
Wenn es gelänge, allein durch entsprechende Vorsorgemaßnahmen den Manifestationszeitpunkt um fünf oder zehn Jahre hinauszuschieben, würde das für die Betroffenen bedeuten, fünf oder zehn Jahre länger zu lesen, länger ein Auto fahren zu können, länger all diese Tätigkeiten auszuüben, die heute in unserer visuell so anspruchsvollen Welt ganz zentral im Lebensmittelpunkt stehen.
Offensichtlich spielt das Pigmentepithel der Netzhaut bei der Entstehung der Erkrankung eine zentrale Rolle. Diese Zellen haben eine Last zu tragen, von der alle anderen Körperzellen verschont bleiben. Die Zellen des Netzhautepithels teilen sich unter normalen Umständen nicht und müssen daher ihre Funktion ein ganzes Leben lang verrichten. Jede Einzelne muss pro Tag ca. zweitausend lipidreiche Membranscheibchen, die von den Photorezeptoren abgeschilfert werden, verdauen.
Eine altersabhängige Funktionseinbuße u.a. durch oxidative Schädigungsmechanismen führt dazu, dass dieses Aufessen der Membranscheibchen nicht mehr komplett funktioniert, sodass Teile von ihnen ‚unverstoffwechselt’ abgegeben und in Form von Drusen abgelagert werden. Ähnlich wie bei Arteriosklerose oder Morbus Alzheimer, die ebenfalls mit extrazellulären Ablagerungen einhergehen, setzen diese auch bei der AMD sekundär entzündliche Prozesse in Gang, die wiederum daran beteiligt sind, dass Drusen größer werden, woraus Folgereaktionen wie die Gefäßneubildungen resultieren.
Lipofuszingranula ("Alterspigmente“ bestehend u.a. aus Protein und Cholesterin) treten bereits ab dem 20. Lebensjahr in den Pigmentepithelzellen auf und vermehren sich im Laufe des Lebens, bis sie einen Großteil der Zelle ausfüllen. In diesen kleinen Müllsäcken in den Zellen, derer sie sich nicht mehr entledigen können, stecken oxidative Folgeprodukte, vor allem Protein-Aggregate, die so vernetzt sind, dass kein Enzym des menschlichen Körpers sie mehr auseinander "schneiden“ kann und deswegen sammeln die sich mit der Zeit an. Einige der Lipofuszininhaltsstoffe besitzen offensichtlich toxische Eigenschaften, die bei der Entstehung der AMD eine Rolle spielen. Den schlagendsten Beweis für die Bedeutung der oxidativen Prozesse bei der AMD erbrachte eine groß angelegte Studie, die ARED-Studie (Age-Related Eye Disease- Study), erhoben vom National Eye Institut in den USA.
Schützen Vitamine für die Augen vor AMD?
Der ARED-Studie zufolge kann sich eine bestimmte Kombination von Vitaminen und Mineralien in einer genau festgelegten Dosierung in verschiedenen Stadien der AMD günstig auswirken.
An dieser prospektiven, randomisierten, Placebo kontrollierten Untersuchung nahmen mehr als 3.000 Patienten über einen Zeitraum von ca. 6 Jahren teil. Das Verum bestand aus Vitamin C (500 mg), Beta-Karotin (15 mg), Vitamin E (400 IE), Zink (80 mg) und Kupferoxid (2 mg). Natürlich war es kein "Penicillin-Effekt“, der beobachtet werden konnte. Aber es zeigte sich, dass gerade die Kombination von Antioxidantien und Zink in der Tat die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der Spätform reduziert und damit eine erhebliche Verschlechterung der zentralen Sehschärfe verhindert.
Wer profitiert nun nach den Ergebnissen der ARED-Studie von diesem Nahrungsergänzungsmittel-Cocktail für die Augen?
Es sind die Patienten mit mindestens einer große Druse, mit multiplen mittelgroßen Drusen, mit nicht zentral gelegener geografischer Atrophie (Zelluntergang der Netzhautmitte) und vor allem Patienten, bei denen bereits auf einem Auge die zentrale Sehschärfe durch das Spätstadium der AMD verloren ist.
Man kann also sagen, dass die Risiko-Reduktion nach Rechnung der ARED-Studie über fünf Jahre etwa 25 Prozent beträgt. Es gibt natürlich auch Kritikpunkte, wie bei allen großen Studien. Statt Beta- Carotin hätte die Kombination besser Lutein enthalten sollen. Das stand aber damals bei Initiierung dieser Studie seitens der Pharmahersteller nicht zur Verfügung. Es wurden jedoch keine relevanten Nebenwirkungen bei den Teilnehmern der Studie über diesen Beobachtungszeitraum festgestellt. Das signalisiert, dass es offensichtlich ein sehr gut verträglicher Cocktail ist – auch in dieser hohen Dosierung.
Welche Bedeutung die Einnahme dieser Antioxidantien im Falle der AMD haben kann, hat man in den USA ausgerechnet, wo etwa sechs Millionen Menschen im Alter zwischen 55 und 80 Jahre leben. Bekannt ist, dass 1,2 Millionen von ihnen schon innerhalb von fünf Jahren eine späte Form der AMD entwickeln. Somit errechnet sich für die USA eine 25-prozentige Risiko-Reduktion. Hinzu kämen über 300.000 AMD-Patienten, bei denen eine Progression verhindert würde. Abgesehen davon, wie vielen Menschen das Schicksal erspart bliebe, den wichtigsten Teil ihres Sehvermögens zu verlieren, sind damit auch erhebliche gesundheitsökonomische, volkswirtschaftliche Dimensionen verbunden. Sehverlust durch AMD zu verhindern, ist ein großes lohnendes Ziel, erreichbar durch Aufklärung mithilfe der Medien.
Professor Dr. med. Frank G. Holz
Direktor der Universitäts-Augenklinik
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Tel.: 0228/ 287-5647
Fax: 0228/ 287-5603
E-Mail: frank.holz@ukb.uni-bonn.de
www.uni-augenklinik.uni-bonn.de
Abbildungen zum Beitrag
F. G. Holz: Welche Medikamente helfen bei AMD
gegen den Verlust des Sehvermögens?
Abb. 1a
Abb. 1b
Abbildung 1: Schnitt durch ein Auge. Das Licht fällt (von links) durch die Hornhaut und die Linse in das Auge und trifft (rechts) auf die Netzhaut, den Augenhintergrund. In der Netzhautmitte, der Makula, befinden sich die meisten Sehzellen, sodass man in der Mitte des Gesichtsfeldes am besten sieht.
Abb. 2
Abbildung 2: So sieht der Augenarzt den Augenhintergrund, wenn er ihn mit dem Augenspiegel untersucht. Der etwas dunklere Fleck in der Mitte ist die Makula; sie ist von Blutgefäßen umgeben.
Abb. 3
Abbildung 3: Frühform der trockenen Makuladegeneration mit kleinen gelblichen Ablagerungen unter der Netzhaut – sog. "Drusen"
Abb. 4
Abbildung 4: Spätform der trockenenMakuladegeneration mit einer "Atrophie“, d.h. einem Zelluntergang der Netzhautmitte.
Abb. 5
Abbildung 5: Feuchte Makuladegeneration mit Blutungen in der Netzhaut.
Abb. 6
Abbildung 6: Gefäßdarstellung (sog. Fluoreszenzangiographie) der feuchten Makuladegeneration, die in der Netzhautmitte die fächerförmigen, neugebildeten Gefäße zeigt
Abb. 7
Abbildung 7: Seheindruck eines Patienten mit fortgeschrittener Makuladegeneration. In der Gesichtsfeldmitte, mit der normalerweise fixiert wird, nimmt man einen grauen, undurchsichtigen Fleck wahr. Außerhalb hiervon erscheinen die Objekte unscharf.
Abb. 8
Abbildung 8: Das Amsler-Netz ist eine Testfigur, um die Funktion der Makula zu testen. Wenn Sie den Punkt in der Mitte der Figur fixieren, erscheinen die Linien am Rande Ihrer Augen unschärfer; das ist normal. Verbiegungen der Linien und Verzerrungen der Quadrate jedoch sind Hinweise auf krankhafte Veränderungen der Netzhaut.
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