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Legasthenie

[Lese-Rechtschreibstörung]

Herausgeber:

Berufsverband der Augenärzte
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Die Legasthenie ist eine umschriebene Entwicklungsstörung, vergleichbar mit einer Sprachentwicklungsstörung oder einer motorischen Entwicklungsstörung. Charakteristisch ist eine deutliche Verlangsamung der Lesegeschwindigkeit sowie eine erheblich höhere Anzahl von Rechtschreibfehlern. Wichtig für Betroffene und Eltern ist, dass die Legasthenie nichts mit einer Intelligenzminderung zu tun hat. Mittlerweile weiß man, dass genetische Faktoren die Lese- und Rechtschreibfähigkeit beeinflussen.

Die Diagnosestellung einer Legasthenie sollte immer interdisziplinär erfolgen. Testverfahren, die in der Kinder- und Jugendpsychiatrie verwandt werden, können Aufschluss über das Ausmaß einer Lese- und Rechtschreibstörung geben. Gleichzeitig sollte auch eine augenärztliche Untersuchung zur Funktionsfähigkeit der Augen vorgenommen werden. Dazu gehört eine vollständige orthoptische Untersuchung und der Ausschluss –oder Nachweis- z. B. einer optischen Unregelmässigkeit wie einer Weitsichtigkeit (Hyperopie) oder einer Stabsichtigkeit (Astigmatismus). Diese diagnostisch notwendigen Untersuchungen werden in vielen Praxen in Zusammenarbeit mit Orthoptistinnen und Orthoptisten durchgeführt. Hierzu gehören die Prüfung der Sehschärfe für Ferne und Nähe, die Stellung und Beweglichkeit der Augen, die beidäugige Zusammenarbeit, die Fähigkeit zur Naheinstellung (sog. Akkommodation) und der optische Brechungszustand. Es gilt zu klären, ob eine Fehlsichtigkeit vorliegt, die korrigiert werden muss.

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Weitsichtigkeit, Kurzsichtigkeit und Stabsichtigkeit können augenärztlicherseits sicher erkannt oder ausgeschlossen werden, weitgehend unabhängig vom Alter und von der Mitarbeit des Kindes.
Dies ist wichtig zu betonen, weil bei einer tatsächlich vorliegenden Lese-Rechtschreibschwäche die funktionellen Voraussetzungen für den Sehsinn optimal sein müssen, damit das betroffene Kind nicht noch ein zusätzliches Handicap zu überwinden hat.

Zur korrekten augenfachärztlichen Ausmessung eines vermuteten Brechungsfehlers bei Kindern gehört das Verabreichen von Augentropfen, die eine Entspannung der inneren Augenmuskulatur (des sog. Ziliarmuskels) und zusätzlich eine Erweiterung der Pupille bewirken. Diese Tropfen dürfen nur bei medizinischer Indikation angewandt werden und sind daher auch nur durch einen Augenarzt oder durch von ihr/ihm beauftragte Mitarbeiter zu verabreichen. Bei dieser Untersuchung wird zusätzlich das Innere des Auges auf Unregelmäßigkeiten untersucht, z.B., ob eine Veränderung an der Netzhaut oder am Sehnervenkopf vorliegt. Dabei können auch seltene Krankheiten des Auges, die nicht sofort und ohne eine augenfachärztliche Ausrüstung erkannt werden können, ausgeschlossen werden.

Wird z.B. bei einer derartigen Untersuchung eine Weitsichtigkeit festgestellt, kann die Verordnung einer Brille nötig werden. Aber nicht immer ist eine Brillenkorrektion notwendig.

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Die individuellen Unterschiede in der augenärztlichen und orthoptischen Behandlung der betroffenen Kinder sollten immer gut erklärt und ausführlich mit den Eltern besprochen werden. Gerade bei der Thematik der Lese-Rechtschreib-Schwäche werden oft in sog. „Informationsmaterial“ optische Heilungsmethoden an die Eltern herangetragen, die einen Erfolg bei der Überwindung der Legasthenie versprechen, was aber nicht in aussagekräftigen Studien nachgewiesen wurde.

Ausdrücklich sei hier vor Angeboten gewarnt, die das Kurieren einer sog. Winkelfehlsichtigkeit mittels Prismenbrillen als Therapie für angebracht halten. Die sog. Winkelfehlsichtigkeit ist keine fachärztlich-wissenschaftliche Diagnose und darf deshalb nicht mit einer Lese-Rechtschreibschwäche in Zusammenhang gebracht werden!

Eine Amblyopie (Sehschwäche eines Auges) bedingt keine Legasthenie und ist mit ihr nicht gleichzusetzen. Sie ist eine augenärztlich zu stellende Diagnose mit unterschiedlichem Hintergrund und bedarf einer speziellen augenärztlichen-orthoptischen Therapie (Ausgleich eines evtl. vorliegenden optischen Brechungsfehlers und „Trainieren“ des schwächeren amblyopen Auges durch Okkludieren, d.h. Zukleben des stärkeren Auges). Eine Legasthenie kann aber zusammen mit einer Amblyopie bestehen – beide Krankheiten müssen dann behandelt werden.

Wichtig bei der umfangreichen Diagnosefindung einer tatsächlich bestehenden Legasthenie ist die Zusammenarbeit der betreuenden Augenärzte und Orthoptistinnen mit den Kinder- und Jugendärzten, Pädaudiologen und HNO-Ärzten sowie mit Kinder- und Jugendpsychiatern. Nach eingehender interdisziplinärer Ursachenanalyse kann eine adäquate Therapie begonnen werden.

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Betroffene Kinder und Jugendliche nennen die deutlich verlangsamte Lesegeschwindigkeit und die Unfähigkeit, so schnell wie die anderen lesen und einen Text erfassen zu können, als das Unangenehmste dieses Handicaps. Um diese Fähigkeiten zu verbessern, sollten möglichst frühzeitig (mit Beginn der Einschulung) gezielte Übungen z.B. zum Text-Lesen und -Erkennen als Einzelbehandlung oder in Kleingruppen unter Anleitung fachkundigen Personals durchgeführt werden. Auch sollte die Darbietung des Leseguts optimiert werden. Viele Betroffene berichten , dass sie durch Training auf einem wünschenswerten Stand gehalten werden, der sie mit den Normal-Lesenden einigermaßen mithalten lässt. Medikamentöse Therapieansätze werden nicht empfohlen. Die Wirksamkeit digitaler Medien ist noch nicht in belastbaren Studien bewiesen worden.

Die augenärztliche und orthoptische Untersuchung ist einer der Grundbausteine in der interdisziplinären Abklärung einer Legasthenie. Der Ausgleich einer Fehlsichtigkeit durch den Augenarzt schafft erst die nötigen Voraussetzungen, um evtl. eine bessere Lesefähigkeit zu erlangen. Dies ist aber im Fall einer tatsächlich vorliegenden Legasthenie noch nicht die vollständige und endgültige Therapie. Diese kann erst nach einer fachgerechten Diagnosestellung der Kinder- und Jugendpsychiater und nach einer sicheren Bestätigung der Diagnose «Legasthenie» eingeleitet werden.

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weiterführende Informationen:
Bundesverband Legasthenie
und Dyskalkulie e.V.
www. bvl-legasthenie.de

Bildnachweis:
Titelbild:  © micmacpics @AdobeStock
Schlussbild: © sonne fleckl @AdobeStock

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