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Schielen (Strabismus) nennt man die meist beständige oder immer wieder auftretende Fehlstellung eines oder beider Augen. Beide Augen schauen nicht in die gleiche Richtung. Vier Millionen Mitbürger in Deutschland schielen. Sie leiden nicht nur unter der sichtbaren, oft entstellenden Abweichung; mehr noch belasten die mit dem Schielen verbundenen Sehstörungen.
Schielen ist eben nicht nur ein Schönheitsfehler (verniedlichend: Silberblick), sondern oft mit einer schweren Sehbehinderung verbunden. Je früher das Schielen im Leben des Kindes auftritt, je später es augenärztlich behandelt werden kann, desto schwerwiegender wird die Sehbehinderung und desto weniger aussichtsreich wird auch die Behandlung der Schiel-Sehschwäche. Bis zum Schulalter sinken die Erfolgschancen der Behandlung erheblich. Nach Beginn der Schule lässt sich bei einer schielbedingten Sehschwäche trotz Behandlung oftmals keine normale Sehschärfe mehr erreichen. Schielende Babys und Kleinkinder bedürfen einer möglichst frühzeitigen Behandlung. Je früher die Therapie einsetzt, desto wirkungsvoller und desto weniger belastend ist sie für das Kind.
Abb. 1
Damit wir räumlich (3D) wahrnehmen können, müssen unsere beiden Augen auf dieselbe Stelle gerichtet sein. In beiden Augen entsteht dabei jeweils ein geringfügig unterschiedliches Bild. Diese beiden Bilder werden im Gehirn zu einem einzigen Seheindruck verschmolzen und es entsteht ein Tiefensehen, auch räumliches oder 3D-Sehen genannt (Abb. 1A ).
Beim Schielen hingegen treffen die Sehachsen nicht auf dieselbe Stelle. Der Unterschied der beiden Bilder, den die Augen liefern, wird zu groß. Sie können im Gehirn nicht mehr richtig zur Deckung kommen und miteinander verschmolzen werden, somit ist keine räumliche Wahrnehmung möglich und es entstehen störende Doppelbilder. Das kindliche Gehirn kann sich - im Gegensatz zum Erwachsenen - gegen Doppelbilder wehren, indem es das vom schielenden Auge übermittelte Bild unterdrückt (Abb. 1B). Der Vorgang hat meist verhängnisvolle Folgen: Das nicht benutzte Auge wird nach einiger Zeit sehschwach (amblyop). Ebenso wird ein Auge sehschwach, wenn es aufgrund einer höheren oder rechts und links ungleichen Fehlsichtigkeit nicht benutzt wird (Refraktionsamblyopie) oder, wenn es wegen einer Augenerkrankung am scharfen Sehen gehindert wird (Deprivationsamblyopie).
Amblyopie nennt man die Sehschwäche eines ansonsten organisch gesunden Auges. Ohne Behandlung entwickeln nahezu 90 Prozent aller Schielkinder eine einseitige Amblyopie. Wird diese Sehschwäche nicht rechtzeitig entdeckt und behandelt, bleibt sie lebenslang bestehen. Das Kind kann dann nie mehr lernen, richtig beidäugig oder gar dreidimensional zu sehen. Es ist vermehrt durch Unfälle gefährdet und außerdem bei der Berufswahl beeinträchtigt, da einige Berufe wie z.B. Berufsfahrer, Piloten etc. beidäugig gutes Sehen verlangen. Eine rechtzeitige Behandlung kann die Amblyopie so gut wie immer verhindern oder beheben und gelegentlich sogar ein brauchbares räumliches Sehen herstellen.
Babys können schon kurz nach der Geburt mit ihren Augen die Umwelt wahrnehmen - allerdings nur undeutlich. Die Fähigkeit, Farben zu sehen, hell und dunkel zu unterscheiden, Bewegungen und Gesichter zu erkennen, ist häufig bereits im Alter von drei Monaten nachzuweisen.
Die Sehschärfe, die das Kind später zum Lesen benötigt, muss sich innerhalb eines begrenzten Zeitraumes durch ständiges unbewusstes Einüben entwickeln. Mit Schulbeginn ist das "Lernprogramm" der Augen bereits weit vorangeschritten. Es gilt: "Was Hänschen nicht sieht, sieht Hans nimmermehr".
In den ersten Lebenswochen kann ein Kind die Bewegung der beiden Augen noch nicht richtig koordinieren. Gelegentliches Schielen ist in diesem Alter kein Grund zur Beunruhigung. Auch fixieren will gelernt sein.
Wenn jedoch ein Auge ständig von der Richtung des anderen abweicht, ist keine Zeit zu verlieren, weil das schielende Auge wegen der sonst auftretenden Doppelbilder vom Gehirn "abgeschaltet" und durch Nichtstun amblyop wird. Die Sehschärfe entwickelt sich nämlich vor allem in den ersten zwei Lebensjahren. Daher ist dies auch der optimale Zeitpunkt, um mit einer Therapie der Schiel-Sehschwäche zu beginnen. Die Amblyopie eines Kindes rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln, gehört zum Standard der augenärztlichen Weiterbildung. In zahlreichen augenärztlichen Praxen und Kliniken gibt es spezielle orthoptische Abteilungen, sog. Sehschulen, in denen eigens dafür ausgebildete Orthoptistinnen und Orthoptisten arbeiten.
Beim Schielen weicht ein Auge von der Blickrichtung des anderen ab. Die Abweichung kann dabei so gering sein (Mikrostrabismus), dass sie selbst aufmerksamen Eltern entgeht. Häufig ist jedoch beim Mikrostrabismus die Sehschärfe des schielenden Auges besonders schlecht, da er aufgrund des unauffälligen Aussehens zu spät erkannt und behandelt wird.
Oft schielt immer ein und dasselbe Auge, weil es schlechter sieht und/oder weniger beweglich ist (so genanntes einseitiges oder "monolaterales" Schielen). Sind beide Augen gleichwertig, beobachtet man meist ein wechselseitiges ("alternierendes"), also zwischen dem linken und rechten Auge abwechselndes Schielen.
Das schielende Auge kann in verschiedenen Richtungen vom nicht-schielenden Auge abweichen (Abb. 2).
Ist eine Fehlstellung ständig vorhanden, spricht man vom manifesten Schielen. Zum manifesten Schielen gehört auch das oben erwähnte Mikroschielen - in der Regel einseitig und nach innen gerichtet. Eine weitere Sonderform des manifesten Schielens ist das meist nach außen gerichtete, nur phasenweise auftretende ("intermittierende") Schielen.
Abb. 2
Die unterschiedlichen Formen des Schielens
Weit verbreitet ist das latente (versteckte) Schielen, auch Heterophorie genannt. Es lässt sich bei über 70 Prozent aller Menschen nachweisen, wenn das beidäugige Sehen durch Abdecken eines Auges oder auf ähnliche Weise aufgehoben wird. In den meisten Fällen verursacht eine Heterophorie keine Beschwerden, aber wenn sie das Maß des Erträglichen überschreitet, kann sie Müdigkeit, Spannungsgefühl, Kopfschmerzen und Leseunlust auslösen. Eine Heterophorie mit Beschwerden wird augenärztlich auch als Pathophorie bezeichnet.
Schielen hat viele Ursachen. Die Tatsache, dass Schielen in manchen Familien gehäuft auftritt, lässt auf eine erbliche Veranlagung schließen. Vor allem, wenn ein Elternteil schielt oder wegen Schielen behandelt wurde, sollte das Kind schon im Alter von sechs bis zwölf Monaten augenärztlich untersucht werden. Häufig ist allerdings nur ein Mitglied der Familie vom Schielen betroffen, Jungen und Mädchen gleichermaßen. Auch Risikofaktoren, die während der Schwangerschaft oder Geburt auftreten, können Schielen bewirken.
In vielen Fällen sind die Ursachen im Auge selbst zu suchen, insbesondere durch angeborene hohe und/oder seitenbezogen ungleiche Brechungsfehler, seltener im Falle einseitiger Linsentrübungen, von Tumoren im Auge oder Verletzungen.
Manchmal beginnen die Augen plötzlich zu schielen, z.B. bei Kinderkrankheiten mit hohem Fieber, nach Unfällen - etwa Gehirnerschütterung, bei Linsentrübung, Netzhautablösung, - aber auch in schweren seelischen Krisen. Kinder, die bislang beidäugig gesehen haben, nehmen dann kurzzeitig Doppelbilder wahr, bis das Gehirn es lernt, sie zu unterdrücken.
Abb. 3
Frühkindliches Schielen
mit
Höherstand des linken Auges
Jedes plötzliche Schielen im Kindesalter bedarf einer umgehenden augenärztlich-orthoptischen Diagnostik, die auch über die Notwendigkeit einer kinderärztlich-neurologischen Abklärung entscheiden muss.
Kinder, die auffällig schielen, haben die besten Chancen, rechtzeitig behandelt zu werden, weil ihre Eltern schon aufgrund des deutlich sichtbaren "Schönheitsfehlers" frühzeitig mit ihnen in eine augenärztliche Praxis gehen.
Leider sind die kaum oder gar nicht sichtbaren Abweichungen (Mikrostrabismus) häufig. In fast der Hälfte der Fälle sind Amblyopien nicht einmal durch Schielen, sondern durch eine einseitige und/oder hohe Fehlsichtigkeit bedingt. Sie fallen oft erst dann auf, wenn eine verlässliche Sehschärfenbestimmung möglich ist, etwa bei den Vorsorgeuntersuchungen U8 oder U9 oder gar erst beim Einschulungssehtest. Dann ist es für eine erfolgreiche Behandlung oftmals zu spät.
Allein aus diesem Grund haben vier Prozent der Mitbürger eine erhebliche einseitige Sehschwäche.
Auf die Vorsorgeuntersuchungen U1 bis U9 haben alle Kinder gesetzlichen Anspruch. Es ist aber erwiesen, dass durch die Untersuchungen U1 bis U7A nur wenige schwere Fehlsichtigkeiten und Stellungsfehler rechtzeitig aufgedeckt werden, d.h. bis spätestens kurz nach dem 3. Geburtstag. Werden sie erst bei den Untersuchungen U8 und U9 erkannt, ist es für eine erfolgreiche Amblyopie-Behandlung oftmals zu spät.
Dies liegt zum einen daran, dass längst nicht alle Eltern dieses Angebot wahrnehmen. Zum anderen findet bisher keine gesetzliche augenärztliche Vorsorgeuntersuchung statt, bei der die besten Voraussetzungen bestehen, die Amblyopie schon bei Säuglingen und Kleinkindern zu erkennen. Die mit 43 bis 48, bzw. 60 bis 64 Lebensmonaten vorgesehenen Vorsorgemaßnahmen U8 und U9 mit einseitiger Sehprüfung kommen insbesondere für sehr früh aufgetretene Amblyopien überwiegend zu spät.
Abb. 4
Kindgerechte, sehr gut sitzende Brille
Die Schielbehandlung basiert auf zwei (gegebenenfalls drei) wichtigen Säulen:
Zunächst ermittelt der Augenarzt die Ursache des Schielens. Einwärtsschielen, das erst im zweiten Lebensjahr oder später auftritt, wird bei mehr als der Hälfte der Kinder durch eine nicht korrigierte Fehlsichtigkeit verursacht. Dabei handelt es sich in der Regel um eine stärker ausgeprägte Übersichtigkeit (im allgemeinen Sprachgebrauch oft auch Weitsichtigkeit genannt). Mit der "richtigen" Brille kann bei vielen dieser Kinder das Schielen behoben oder zumindest verringert werden. Eine Brillenbehandlung ist schon im ersten Lebensjahr möglich. Oft wird die Sehhilfe von kleineren Kindern besser akzeptiert als von Zwei- bis Dreijährigen in der Trotzphase. Im ersten Lebensjahr sind die Kriterien für die Verordnung einer Brille weiter gesteckt, da sich bis zum Ende des ersten Lebensjahres noch viel verändern kann.
Zur Verhinderung oder Behandlung einer Amblyopie dient die Abdeck- oder Okklusionsbehandlung, bei der nach augenärztlicher Anweisung in einem bestimmten Rhythmus Pflaster auf das nicht-schielende Auge geklebt werden. Der Pflasterverschluss des nicht-schielenden Auges soll das Trainieren des schielenden Auges bewirken. Das Pflaster wird nicht ständig, sondern in individuell empfohlenen Intervallen getragen. Somit besteht keine Gefahr, dass das bessere Auge sehschwach wird.
Wenn ein Kind wegen Hautreaktionen das Pflaster nicht verträgt, kann augenärztlich eine Stoffkapsel oder bei Versagen dieser Methode halbdurchsichtige oder undurchsichtige Folien für das Brillenglas verordnet werden.
Abb. 5
Abklebebehandlung
Nur selten erfolgt die Therapie mit Augentropfen oder Augensalben, die nach festgelegtem Zeitplan in das nicht-schielende Auge gegeben werden, um vorübergehend seine Sehschärfe gezielt zu vermindern.
Wenn der Schielwinkel so groß ist, dass keine beidäugige Zusammenarbeit aufkommen kann, sollte die Fehlstellung durch Operationen an den äußeren Augenmuskeln beseitigt werden.
Manchmal ist die operative Stellungskorrektur Voraussetzung für eine wirksame Abdeckbehandlung. In der Regel erfolgt die Operation aber erst dann, wenn das Kind die Brille verlässlich trägt, mit beiden Augen annähernd gleich gut sieht und bei der Untersuchung mitarbeitet.
Der ideale Zeitpunkt bei gesunden Kindern mit frühkindlichem Schielen liegt im 5. bis 6. Lebensjahr, da
Schieloperationen sind ausgesprochen risikoarm und haben gute Erfolgsaussichten. Sie werden von Augenärztinnen und Augenärzten bei Kindern in Allgemeinnarkose ausgeführt, d.h. nach der Beruhigungsspritze und der Narkoseeinleitung spürt das Kind von dem Eingriff nichts mehr. Nach dem Aufwachen machen sich noch für etwa 48 Stunden leichte Schmerzen oder ein Fremdkörpergefühl bemerkbar - vor allem bei Augenbewegungen.
Während der ersten Woche nach dem Eingriff ist die Bindehaut am Auge oft noch deutlich gerötet und manchmal auch geschwollen. Nach kurzer Zeit aber sieht man nicht mehr, dass am Auge operiert wurde. Bei der Operation wird das Auge weder herausgenommen noch aufgeschnitten. Bei der Operation wird lediglich die leicht heilende Bindehaut geöffnet, um an den unmittelbar darunter liegenden Augenmuskeln operieren zu können.
Von der Art und der Stärke der Fehlstellung und vom Ergebnis der Vorbehandlung hängt es ab, ob ein einmaliger Eingriff genügt oder ein Mehrstufenplan notwendig wird. In wenigen, nicht voraussehbaren Fällen muss trotz bester Planung und Operationstechnik entweder bald nach der ersten Operation oder auch erst Jahre danach ein zweites Mal operiert werden.
Abgesehen von der Operation ist die augenärztliche Behandlung bei allen anderen Therapiemaßnahmen nur dann erfolgreich, wenn die Eltern zuverlässig mitwirken.
Sie müssen verlässlich darauf hinwirken, dass das Kind die verordnete Brille so wie verordnet trägt, dass bei der Okklusionsbehandlung Haut- oder Brillenpflaster so lange wie festgelegt, aber auch nicht länger als vorgeschrieben, auf dem Auge bleiben, dass sie auch nicht "nur mal zwischendurch" abgenommen werden und dass jeder Termin - sei es zur Untersuchung oder zur Schulung - eingehalten wird.
Ihre Augenärztin und Ihr Augenarzt sowie die Orthoptistinnen und Orthoptisten wissen, dass Sie und Ihr Kind viel Geduld und Durchhaltevermögen aufbringen müssen. Sie werden Sie in jeder Weise unterstützen: medizinisch, psychologisch und durch eingehende Informationsgespräche.
Mit freundlicher Empfehlung:
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