Warum können Brillen und Kontaktlinsen nicht jedes Sehproblem lösen?
Bevor in unserem Gehirn ein optischer Eindruck entsteht, ist ein komplizierter Vorgang erforderlich, an dem alle Teile des Auges beteiligt sind. Die auf das Auge fallenden Lichtstrahlen werden durch die Brechkraft der Hornhaut und der Linse gebündelt. Sie treffen in einem Punkt auf der Netzhaut zusammen. Die Netzhaut enthält Sinneszellen und Nervenfasern, die sich zum Sehnerv vereinigen. Er ist das “Leitungskabel” zum Gehirn, wo wir das in der Netzhaut entstandene Bild wahrnehmen. Mit Hilfe von Brillen oder Kontaktlinsen kann man fehlerhafte Augenbrechwerte ausgleichen. Nichts ausrichten kann man gegen Beeinträchtigungen der Sehschärfe, die durch Funktionsausfälle, z.B. im Bereich der Netzhaut oder des Sehnervs entstanden sind.
Zerstörte Sinneszellen der Netzhaut und Sehnervenfasern vermögen auch kein Medikament und keine Operation wieder herzustellen. Trotz der großen Fortschritte in der Augenheilkunde sind also den Möglichkeiten zu helfen Grenzen gesetzt. Dennoch können Augenarzt und andere mit ihm zusammenarbeitende Berufsgruppen den sehbehinderten Patienten das Leben mit speziellen optischen vergrößernden Hilfsmitteln erleichtern.
So brauchen viele von ihnen weder aufs Lesen noch auf das Fernsehen zu verzichten und manche sind in der Lage, ihren Beruf auszuüben; sie erledigen Einkäufe ohne fremde Hilfe, gehen allein auf Reisen.
Wann können vergrößernde
Sehhilfen helfen?
Eine Vergrößerung der betrachteten Objekte – Schriftzeichen, Fernsehbild usw. – kann hauptsächlich dann hilfreich sein, wenn die zentrale Sehschärfe durch krankhafte Veränderungen der Netzhautmitte herabgesetzt ist. Solche Veränderungen können in seltenen Fällen schon in jungen Jahren auftreten – meist als Folge einer Erbkrankheit. Sie können aber auch im Verlauf eines diabetischen Netzhautleidens entstehen. Die häufigste Veränderung der Netzhautmitte, der Makula, ist altersbedingt. Bei dieser Krankheit, der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD), werden die meisten Patienten ihr Orientierungsvermögen bis an ihr Lebensende behalten; sie nehmen wahr, was außerhalb des zentralen Gesichtsfeldes liegt. Aber das, was sie direkt anschauen/fokussieren – die Mitte – ist verschwommen oder nicht visuell vorhanden.
Was können vergrößernde
Sehhilfen bewirken?
An den Stellen der Netzhaut, die nicht mehr funktionstüchtig sind, ist kein genaues Erkennen möglich. Es entstehen Bildausfälle. Beim Lesen und bei allem, was man fixiert, stören sie um so mehr, je näher sie an der Stelle des schärfsten Sehens liegen und je größer sie sind.
Optische und elektronische Hilfsmittel sind Erfolg versprechend, wenn im zentralen Bereich der Netzhaut genügend intakte Inseln liegen, sodass z.B. eine vergrößerte Schriftzeile zusammenhängend erkannt werden kann. Der Umgang mit vergrößernden Sehhilfen kann anfangs schwierig sein. Je stärker die Vergrößerung sein muss, desto mehr Geduld erfordert die Umstellung, denn in dem Maße, wie die Schrift größer wird, verkleinert sich der Textausschnitt, den man auf einen Blick erfassen kann.
Bei Hilfsmitteln, die man wie eine Brille trägt, muss man sich an einen anderen, oft erheblich geringeren Leseabstand gewöhnen. Auch die optischen Hilfsmittel für die Ferne sind anfangs nicht leicht zu handhaben. Doch alle diese Schwierigkeiten lassen sich durch Üben überwinden. Man muss natürlich den festen Willen haben, sich seine Unabhängigkeit zu bewahren, wieder lesen oder so gut sehen zu können, um sich mit seinem Hobby zu beschäftigen.
Welche optischen Hilfsmittel gibt es heute für Sehbehinderte?
Durch technische Verbesserungen und Entwicklung neuer Lösungen haben sich die Möglichkeiten zu helfen erweitert, doch die richtige Wahl für den Patienten zu treffen, erfordert oft Zeit und Einfühlungsvermögen. Es ist nicht damit getan, nur den im Augenblick erforderlichen Vergrößerungsfaktor zu bestimmen, denn dann wäre die Enttäuschung programmiert.
Zum einen ist die Ursache der Sehbehinderung, also die Erkrankung, ausschlaggebend und ebenso ihre konkrete Ausprägung bei diesem Patienten und der weitere Verlauf; zum anderen muss der Augenarzt die Bedürfnisse des Patienten berücksichtigen, seine Lebensgewohnheiten und seine Bereitschaft, mit der vergrößernden Sehhilfe zurechtzukommen.
Den ersten Anhaltspunkt liefert die Sehschärfe: Je geringer sie ist, desto stärker muss die Vergrößerung sein. Die Tabelle zeigt vereinfacht an einigen Beispielen, bei welcher Sehschärfe welche Hilfsmittel im Nahbereich Verbesserungen bringen können:
Sehschärfe | Vergrößernde Sehhilfe |
---|---|
0,2 bis 0,4 | verstärkte Lesebrille = monokulare/binokulare Lupenbrille, Leseglas, Leuchtlupe (Vergrößerung für die Nähe 1 bis 3-fach) |
0,05 bis 0,2 | monokulare Lupenbrille, Leuchtlupen, Fernrohrbrillen, einfache elektronische Hilfsmittel (Vergrößerung für die Nähe 3 bis 10-fach) |
0,05 | Bildschirmlesegerät (Vergrößerung 8 bis 20-fach) |
Vorteile der erhöhten Addition:
Mit einer binokularen Lupenbrille, einer verstärkten Lesebrille, lässt sich bei beidäugiger Versorgung eine maximal dreifache Vergrößerung erreichen bei einem Leseabstand von ca. 8 cm. Stärkere Lupenbrillen bis gut 12-fach werden nur monokular, also für ein Auge, angepasst. Sie sind eine Alternative zum Bildschirmlesegerät mit dem Vorteil, dass man sie überall einsetzen kann – z.B. auch auf Reisen. Doch selbst diese starken Lupenbrillen, die eine Annäherung des Lesegutes bis fast an die Nase erfordern können, werden wegen ihrer Unauffälligkeit und des vergleichsweise großen Sehfeldes nach einer kurzen Eingewöhnungszeit gerne angenommen.
Lesegläser (Handlupen) erlauben zwar rein technisch höhere Vergrößerungsgrade, aber der Patient sollte eine Zeitungsspalte überblicken können und das ist nur bis zu dem Faktor 4,5 möglich. Als zusätzliches Hilfsmittel – z.B. zum Lesen eines Kontoauszugs – kann oftmals eine kleine Taschenlupe mit 3- bis 4-facher Vergrößerung sehr nützlich sein.
Die Auswahl der Lupenformen ist groß. Bevorzugt werden im Allgemeinen Leuchtlupen, weil ältere Menschen einen stark erhöhten Lichtbedarf haben und daher auch grundsätzlich auf eine Lichtoptimierung angewiesen sind.
Generell sollte vor der Anpassung einer vergrößernden Sehhilfe für die bestmögliche Beleuchtung gesorgt werden. Durch eine spezielle und optimale Beleuchtung in Warmweiß (2.700 K), Neutralweiß (4.500 K) oder Kaltweiß (6.500 K) lässt sich nämlich der Vergrößerungsbedarf einer Sehhilfe senken. Mit entsprechender Beleuchtung und / oder mit einem Lesepult kann man die Wirksamkeit seiner optischen Sehhilfe verbessern und damit den Sehkomfort erhöhen und das Lesen erleichtern.
Verschiedene Leuchtlupen
(auch mit Induktionsladung erhältlich):
Bei bestimmten Arbeiten, für die man beide Hände braucht, helfen Kopf- und Umhängelupen oder Lupen, die an einem beweglichen Stativ befestigt sind – oft kombiniert mit einer Lichtquelle.
Handarbeitslupe
Arbeits- Standlupe
Brillenclip mit Votsatzlupen
Es gibt unterschiedliche Systeme, die unter dem Begriff Fernrohr-Lupenbrillen zusammengefasst sind.
Einige davon kann man sowohl für Arbeiten in der Nähe anwenden, als auch für das Sehen auf Bildschirm-Distanz. Für die Nähe ist eine bis zu 12-fache Vergrößerung möglich bei einem im Vergleich zur Lupenbrille größeren Arbeitsabstand. Für den Fernbereich bietet die Fernrohr-Brille eine bis zu ca. 4-fache Vergrößerung. Wesentlich höhere Vergrößerungen erreicht man mit monokularen Fernrohren, die mit der Hand vor das Auge gehalten werden.
Lupen können sogar in den unteren Teil eines Brillenglases mit Fernkorrektion eingearbeitet werden, sodass der Patient auch seine gewohnte Umgebung wahrnimmt, ohne die Brille absetzen zu müssen.
Lupenbrille
Verschiedene Ausführungen von Fernrohrbrillen
(Galilei- und Kepler System):
Kepler-Fernrohrlupenbrille auf rechtem Brillenglas
Wenn alle optischen Hilfsmittel versagen, weil deren Vergrößerungsfaktor nicht ausreicht, können unter bestimmten Voraussetzungen elektronische (Hand-) Lupen oder Bildschirm-Lesegeräte weiterhelfen. Bildschirm-Lesegeräte geben einen Text, der über eine Video-Kamera aufgenommen wird, in 5- bis 20-facher Vergrößerung wieder.
Der Patient kann die für ihn günstigste Schriftzeichengröße einstellen und in einem bequemen Abstand lesen.
Trotz dieser Vorteile kommen nicht alle Patienten, für die ein Bildschirm-Lesegerät theoretisch geeignet wäre, damit zurecht. Man muss nicht nur lernen, mit der Technik umzugehen. Man muss sich bei hohen Vergrößerungen und entsprechend kleinen Zeilenabschnitten sehr konzentrieren, um nicht “den Faden zu verlieren.”
Wenn optische oder optisch-elektronische vergrößernde Sehhilfen nicht mehr ausreichen, können Vorlesegeräte die Lektüre von Zeitung und Büchern ohne “fremde Hilfe” ermöglichen. Auch das Bearbeiten von Texten am Computer ist heute für den Sehbehinderten durch Anwendung entsprechender Vergrößerungsprogramme möglich, sodass man weder privat noch beruflich auf die Benutzung des PCs verzichten muss.
Als Hilfsmittel für die Ferne, etwa um sich außerhalb der vertrauten Umgebung zurechtzufinden, dienen kleine Fernrohre, so genannte Kepler-Handmonokulare. Natürlich kann man mit einem Fernrohr vor Augen nicht auf der Straße herumlaufen – das wäre unter Umständen sogar lebensgefährlich. Hier soll es lediglich eine Orientierungshilfe sein, mit der man z.B. Straßenschilder lesen kann, die aber auch auf kürzere Entfernungen, wie Schaufensterauslagen, einstellbar ist.
Das Kepler-Handmonokular wird besonders eingesetzt zum unauffälligen Gebrauch in der Öffentlichkeit und beim Ablesen der Wandtafel z.B. in der Schule und am Arbeitsplatz.
Kepler-Handmonokular
Bei der Wahl der für den Patienten am besten geeigneten vergrößernden Sehhilfen müssen medizinische, physiologische, optische und psychologische Voraussetzungen beachtet werden. Darum ist es unerlässlich, dass ein spezialisierter Augenarzt dem Patienten diese optischen und elektronischen Hilfsmittel anpasst und dass der Patient diese unter seiner fachgerechten Anleitung ausprobiert. Danach wird dann die Sehhilfe von einem spezialisierten Augenoptiker angefertigt.
Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung haben Anspruch auf Versorgung mit Seh- und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind. Die Hilfsmittel müssen zweckmäßig, ausreichend und wirtschaftlich ausgewählt werden. Es kann also durchaus vorkommen, dass Hilfsmittel bei entsprechenden Indikationen von der gesetzlichen Krankenversicherung komplett übernommen werden bzw. ein Zuschuss gewährt wird. Hilfsmittel, die nicht in die oben genannten Bereiche hineinfallen, sind somit keine Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung und können vom Patienten nur privat erworben werden.
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