Schon heute werden 85 Prozent aller Erblindungen von nur drei Augenkrankheiten verursacht. Es sind Augenkrankheiten, die zumeist Anfang der zweiten Lebenshälfte beginnen, unbemerkt fortschreiten und im Rentenalter das Augenlicht kosten. Je mehr unsere Lebenserwartung steigt, desto wahrscheinlicher wird der Verlust des Sehvermögens. Infolge der demografischen Entwicklung ist damit zu rechnen, dass die Zahl der Neuerblindungen noch im ersten Viertel dieses Jahrhunderts um 60 Prozent zunimmt.
Das ist die schlechte Nachricht. Die gute bezieht sich auf die Fortschritte in der Augenheilkunde: Heute stehen Therapien zur Verfügung, die bei diesen drei häufigsten Erblindungsursachen die Erblindung verhindern können, sofern die Behandlung rechtzeitig beginnt. Die Kosten der Therapien (zumindest einiger) werden von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet. Doch hier folgt wiederum eine schlechte Nachricht: Die Kosten der Untersuchungen, die erforderlich sind, damit die Behandlung rechtzeitig beginnen kann, sind teilweise keine Kassenleistungen.
Vorsorge: „Kasse zahlt nur bei begründetem Krankheitsverdacht“ –
Gefährliches Missverständnis:
Was die Kasse nicht zahlt, ist medizinisch nicht notwendig
Wenn bei einem Glaukom (Grüner Star) ein „begründeter Krankheitsverdacht“ besteht, d.h. Symptome vorliegen, die auf eine Erkrankung hinweisen, braucht man keine Vorsorgeuntersuchung mehr, der Schaden am Sehnerv und damit der Verlust an Sehvermögen ist schon eingetreten, und beides lässt sich nicht wieder rückgängig machen. Auch bei der AMD (altersabhängige Makuladegeneration) und der diabetischen Retinopathie sind Netzhautzellen abgestorben, wenn Veränderungen am Sehvermögen einen „Krankheitsverdacht begründen“.
„Vielleicht sind Augenkrankheiten mit ihren Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten für Gesundheitspolitiker ein besonders schwieriges Gebiet“, räumt Dr. Uwe Kraffel, 1. Vorsitzender des Berufsverbandes der Augenärzte, ein. Darum glaubt er auch nicht, dass die Bevölkerung absichtlich durch Warnung vor individuellen Vorsorgeuntersuchungen verunsichert wird. „Wir müssen akzeptieren, dass unser Sozialsystem seine Leistungen einschränken muss, wo Eigenleistung zumutbar ist, damit teurere medizinische Versorgung, die der einzelne nicht allein schultern kann, weiterhin als Kassenleistung zur Verfügung steht. Aber auf der anderen Seite muss sich die Gesundheitspolitik offen dazu bekennen und den mündigen Bürger darin unterstützen, die Verantwortung für seine Gesundheit zu übernehmen. „Gib Glaukom und AMD keine Chance!“ müsste plakatiert werden, stattdessen wird die jahrzehntelange Aufklärungsarbeit der Medien und der Augenärzte zunichte gemacht.“
Wenn sich infolge der bundesweiten undifferenzierten Kampagne gegen Früherkennungsuntersuchungen als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) weniger Menschen im Risiko-Alter ab 40 zur Sehnervuntersuchung entschließen, dann liegt das ganz sicher nicht daran, dass ihnen ihr Augenlicht keine zwanzig Euro wert ist. Ihnen wurde suggeriert, dass jeder Kassenpatient alle Leistungen erhält, die medizinisch notwendig und sinnvoll sind. Diese Schlussfolgerung ist allein schon dadurch widerlegt, dass u.a. auch die Brille aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherungen gestrichen wurde. Sie gilt seit Jahren als IGeL.